Der Glückskompaß


Hogwarts – Eine Neuheit in der Zaubererwelt wurde gestern der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei vorgestellt. Im Rahmen einer Feierstunde präsentierte in der festlich geschmückten Großen Halle Prof. Sibyll Trewlawney, Ururenkelin der berühmten Seherin Cassandra Trewlawney, dem staunenden Lehrerkollegium und der anwesenden Schülerschaft ihre sensationelle Erfindung – den Glückskompaß.
Prof. Trelawney, seit über 25 Jahren an der Hogwartsschule als Lehrerin für Wahrsagekunst, die dieses magische Instrument neben ihrem anstrengenden Lehramt in mehrjähriger Forschungsarbeit zur Produktionsreife entwickelt hat, wurde zum Auftakt der Feier von Schülern und Lehrern stürmisch begrüßt.
Nach der launigen Eröffnungssrede des Schulleiters und einem Grußwort von Jonathan Wilcock, der als Vertreter des Zaubereiministeriums eingeladen war, trug, unter dem feierlichen Gesang des Schulchores mit dem Lied „O fortuna orientes“ des japanischen Dichters Tamura Okatara, der Hausmeister der Schule, Mr. Filch, den Prototyp des Glückskompaß in die Halle.
Prof. Trelawney ergriff auch sogleich das Wort und referierte in ihrer unnachahmlichen Art zunächst über die Schwingungen des Schicksals, den Odem des Glücks und die Wirrungen des Inneren Auges, ehe sie dem gespannt wartenden Publikum schließlich Funktion und Anwendungsweise des Kompasses beschrieb. Dazu wurde ein magisches Bild des Instrumentes an die Decke der Halle projeziert, und die Schüler sahen statt des regnerischen Wolkenhimmels eine Art Schale, in der in einer gelblichgrüner Flüssigkeit ein einzelnes Teeblatt schwamm.
Der Glückskompaß, erläuterte Prof. Trewlawney, sehe zunächst aus wie diese Polarsternanzeiger, welche die Muggel auf dem Meer verwenden. Eine handtellergroße flache Dose mit Glasdeckel, gefüllt mit Flüssigkeit. Aber damit hätten die Gemeinsamkeiten schon ein Ende. Der Glückskompaß sei, so die Professorin weiter, mit Grünem Tee der Sorte Camellia sinensis ganoa gefüllt, und statt einer Nadel diene ein einzelnes Blatt der Teesorte als Richtungsanzeiger. Dieses Teeblatt zeige mit seiner Spitze immer in die Richtung, wo für den Besitzer des Kompasses das Glück liege, egal an welchem Punkt auf der Erde sich die Person befinde.

Diese Teesorte wird eigentlich von Prof. Sprout, Lehrerin für Kräuterkunde, in den Gewächshäusern der Schule angebaut. Prof. Trewlawney jedoch hatte sich, da sie für den Wahrsageunterricht stets viel Tee benötigte und den langen Weg zwischen Klassenzimmer und Schulgarten scheute, selber einige Ganoa-Pflanzen im Wahrsageturm gehalten.

Durch Zufall, so Prof. Trelawney, bemerkte sie, daß im Unterricht mit der Zeit die Vorhersagen der Schüler wesentlich deutlicher ausfielen, wenn sie aus Teeblättern der Ganoasträucher aus dem Klassenraum lasen, statt aus dem üblichen Gewächshaustee.

Zunächst konnte sie sich das nicht erklären und veranstaltete Versuchsreihen mit verschiedenen Teesorten. Da das Ergebnis immer das gleiche war, nämlich eine deutliche divinatorische Überlegenheit des Klassenraumtees, zog Prof Trelawney daraus den für sie einzig logischen Schluß, daß die Teepflanzen durch ihren andauernden Aufenthalt im Wahrsageklassenzimmer eine magische Mutation durchgemacht hätten.

Das sei natürlich keine Überraschung, denn, so Prof. Trelawney unter lautem Applaus und Gelächter aus dem Auditorium, hätten schon viele ihrer Schüler durch die mediale Aura, die sie ausstrahle und auf den Klassenraum übertrage, sich zu durchaus brauchbaren Okkultisten entwickelt.

Mit dem Accio-Zauber ließ Prof. Trelawney dann einen Strauch des magischen Camellia sinensis ganoa in der Halle erscheinen und erklärte daran im weiteren Verlauf ihres Vortrages, wie sie die Pflanzen durch ausgesuchte Kreuzungen allmählich zu ihrer heutigen divinatorischen Potenz gezüchtet hätte.

Zum Höhepunkt der Festveranstaltung zauberte Prof. Trelawney eine stattliche Anzahl Teetassen und einen dampfen Teekessel herbei, füllte die Tassen und legte in jede vorsichtig ein Blatt Klassenraumganoatee. Und bald war die ehrwürdige Große Halle angefüllt vom Lachen und Kreischen aufgeregter Schüler, die mit dampfenden Teetassen in den Händen ihrem Glück hinterherliefen, während eine strahlende Frau Professor, umringt von den Pärchen, die der Glückstee bereits zusammengeführt hatte, erklärte, warum ihre Auren in so perfekter Harmonie schwingen würden.

Während die Schüler sich ganz den Schwingungen hingaben, diskutierten die Fachlehrer die Erfindung der Kollegin und untersuchten aufmerksam den Ganoastrauch und den Prototyp des Glückskompasses, bis dieser schließlich von Mr. Wilcock in Empfang genommen wurde, der sich von der Veranstaltung verabschiedete und das neuartige Instrument für das vorgeschriebene Genehmigungsverfahren ins Ministerium mitnahm.

In der Großen Halle wurde hingegen noch bis in den Abend hinein gefeiert und man ließ sich auch von der Meldung , man habe einen Hufflepuff-Drittklässler mit einer Teetasse vor sich in Richtung Verbotener Wald laufen sehen, nicht weiter stören, denn, so die gut gelaunte Prof. Trelawney, schließlich trage mit dem Glückskompaß jeder seinen guten Stern in den Händen.

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